Wie gelingt es, an der eigenen Kunst dran zu bleiben? Wie lassen sich Kunstmachen und Brotjob unter einen Hut kriegen?
Wie sieht das Künstler*innendasein nach dem Studium aus? Wie funktioniert die Kombination aus Kunstmachen und Geldverdienen? Welchen Stellenwert haben Ausstellungen und Kataloge? Interview mit Kerstin Drechsel.
Du machst schon sehr lange Kunst. Das ist auch schon eine Kunst. Wie ist Dir das gelungen?
Die ersten zehn Jahre nach dem Studium war es für mich weder selbstverständlich noch einfach zu glauben, dass meine Kunst wichtig sei und gemacht werden müsse. Ich habe mich jedes Vierteljahr aufs Neue gefragt, ob ich nicht lieber aufhören sollte. Die Zweifel hatten sicherlich auch damit zu tun, dass ich damals nie ein Stipendium bekommen habe, während alle Freundinnen und Freunde um mich herum ein Stipendium nach dem anderen erhielten. Es gab zum Glück einige Verkäufe, aber das reichte nicht aus, um mein Leben plus das Kunstmachen zu finanzieren. Das heißt, ich habe von Beginn an immer parallel zur Kunst gejobbt.
Wie hast du das Kunstmachen und zugleich Geldverdienen hinbekommen?
Zunächst habe ich in Bereichen gejobbt, die mit meiner künstlerischen Arbeit nur begrenzt zu tun hatten. Zu dem Zeitpunkt konnte ich mir noch nicht vorstellen, in die Lehre zu gehen. Ich hatte Bedenken, die eigene Motivation aufrechterhalten zu können, wenn ich sehen würde, welche tollen Ansätze die Studierenden verfolgten. Also habe ich drei bis vier Abende pro Woche an der Kinokasse des Kinos Arsenal, das Cineastenkino in Berlin, gearbeitet. Das erschien mir als kommunikative Ergänzung zur nonverbalen Atelierarbeit tagsüber.
Dann gab es zusätzliche, kompakte Jobs, wie zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Friederike Feldmann Bühne und Kostüme für verschiedene Theaterproduktionen zu entwerfen oder eine Filmausstattung zu machen. Das war wie eine Erweiterung des eigenen Arbeitens in einen anderen physischen und gedanklichen Raum hinein und teamworkbasiert.
Das Goldrausch-Stipendium bekam ich drei Jahre nach dem Studium. Das war für mich ein enormer Kick und hat mein Selbstbewusstsein als Künstlerin gestärkt. Außerdem gäbe es bei Goldrausch eine große und vielbeachtete Gruppenausstellung plus einem kleinen Einzelkatalog, der meine Liebe zum Büchermachen wiederbelebt hat.
Die Kombi aus Kunstmachen und Geldverdienen konnte nur funktionieren, weil ich wusste, wofür ich meine Jobs machte: um meine Kunst realisieren zu können.
Mir war es immer wichtig, meine Arbeiten öffentlich zu zeigen. Einzelausstellungen zu haben oder an Gruppenausstellungen beteiligt zu sein lief/läuft mit großer Regelmäßigkeit bis heute und gab mir das Selbstvertrauen, das an anderer Stelle fehlte.
Als die Zusammenarbeit mit der Galerie, mit der ich direkt nach meinem Studium für zwei Jahre zusammengearbeitet hatte, wegen unterschiedlicher Kunst-/Malereiauffassungen auseinanderbrach, wurde ich Teil der damals neu gegründeten Künstler*innengruppe „Stadt im Regal“[stadtimregal.de].Alle Beteiligten arbeiteten medial unterschiedlich, und es war das gemeinsame Anliegen, selbstbestimmt in kollektiver Gruppenarbeit Ausstellungen zu konzipieren und zu realisieren, unabhängig vom Markt oder von Institutionen.
Auf Galerieebene kam es erst neun Jahre nach meinem Studium wieder zu einer festen Vertretung und Zusammenarbeit. In Berlin zuerst mit Laura Mars Grp. (lauramars.de) dann mit SEPTEMBER (september-berlin.com) und aktuell seit einigen Jahren mit Zwinger (zwinger-galerie.de). Das bedeutet zum einen sehr anregenden regelmäßigen Austausch über das, was ich mache, sowie über Kunst und künstlerische Prozesse im Allgemeinen und gleichzeitig eine family-artige Community, die sich bei den Eröffnungen traf und trifft: die anderen Künstler*innen, queeres Publikum, Leute aus unterschiedlichen Kontexten und Generationen. Außerhalb von Berlin arbeite ich seit vielen Jahren mit der britischen Galerie Vane zusammen, durch die meine Arbeiten immer mal wieder internationale Messeauftritte haben, und seit ein paar Jahren mit der Hamburger Galerie Carolyn Heinz (carolynheinz.de). Und ganz wichtig: Ich wurde und werde zu internationalen Projekten und institutionellen Ausstellungsbeteiligungen eingeladen.
Immer mal wieder eine Gruppen-oder Einzelausstellung haben, zunehmend in Netzwerken zu sein wie Galeriekontexten, Künstler*innengruppen oder andere Ausstellungsprojekte, hat mich angespornt.
Nach elf Jahren erfolgloser Bewerbungen um Stipendien war auch dieser Bann gebrochen: Ich bekam ein Auslandsstipendium des Berliner Senats für Paris und in den Folgejahren immer mal wieder ein anderes Stipendium. Dann wurde alles besser. Ich gebe es nur ungern zu, aber auch ich habe diese Streicheleinheiten gebraucht, um weiter an meine Arbeiten zu glauben. Ganz abgesehen vom Geld, das mir ermöglichte, auch mal eine Pause vom Jobben einzulegen oder mich umzuorientieren.
Die jobmäßige Umorientierung geschah eher per Zufall. Eine Freundin und Stadt-im-Regal-Kollegin fragte mich, ob ich Lust hätte, ein Seminar in ihrem Fachgebiet anzubieten. Ich wollte diese Erfahrung machen, und das war die Initialzündung: Ab dem Moment habe ich die letzten 16 Jahre nonstop in sehr unterschiedlichen Bereichen an Universitäten und Kunsthochschulen gearbeitet, sowohl Malereiklassen geleitet als auch Seminare in der Architektur-, Stadt- und Landschaftsplanung angeboten, aber auch zusammen mit einem Kollegen ein experimentell ausgerichtetes Grundlagenstudium für den Studiengang visuelle Kommunikation aufgebaut.
Meine frühere Angst, parallel zur Lehre selbst nicht arbeiten zu können, hatte sich verflüchtigt. Denn die Auseinandersetzung mit den Studierenden über ihre Arbeiten hat mich eher offener für die Reflexion meiner eigenen Arbeiten gemacht und medial experimentierfreudiger. Zudem war es eine große Entlastung, mein Leben und meine Kunst größtenteils durch die Lehre finanzieren zu können, ich war finanziell nicht abhängig vom Kunstmarkt, was mir wiederum eine größere Freiheit für das Kunstmachen gab.
Was war die größte Herausforderung bei der Balance zwischen Job und Kunstpraxis?
Die größte Herausforderung ist und bleibt, das eigene Kunstmachen nicht zu verlieren. Um einen neuen Werkkomplex zu entwickeln, brauche ich Ruhe und Unbeschwertheit, fast schon Langeweile, um frei zu sein. Das heißt der konzeptionelle Beginn, die Suche, das Ausprobieren oder das Verwerfen finden meistens in den vorlesungsfreien Zeiten statt. Wenn ich etwas konzipiere, funktioniert das nie sofort. Erst durch Zufälle beim Prozess, die nicht gedankengesteuert sind, entsteht die Richtung, in die die jeweilige Arbeit dann gehen kann.
Hat sich das durch die Lehre verändert?
In der Lehre stimmt je nach Stelle mehr oder weniger das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Bezahlung, es ist gedanklich anregend und im eigenen Arbeitsfeld angesiedelt. Aber man hat auch die volle Verantwortung.
Bei anderen Jobs ist das Schöne, dass man hingehen und wieder weggehen kann.
Es bleibt nichts im Kopf hängen, das einen danach noch beschäftigt, dafür ist aber die Bezahlung schlechter.
Was ist deine Empfehlung für angehende Künstler*innen?
Erst mal für sich herausfinden, was man von der Kunst will, wie man arbeiten will, in welchen institutionellen oder auch selbst organisierten Bereichen man ausstellen will. Was sind die eigenen Ideale und Utopien? Wie kann man sie ein Stück weit leben? Was kann man davon selbst in die Hand nehmen?
Das Kunst- und Künstler*innenbild verändert sich seit einigen Jahren. Es geht nicht mehr nur um Erfolg im Sinne eines Markterfolgs oder beim Kundmachen nicht mehr nur um verkaufbare Produkte.
Es geht auch darum, zum Beispiel kollektives Arbeiten auszuprobieren, bestimmte Themen zu untersuchen, die in unseren Gesellschaften eine Rolle spielen, diese allerdings natürlich mit der Sprache der Kunst anzugehen etc.
Ich rate jungen Künstler*innen immer, sich zusammenzutun, um auszustellen, gemeinsam Projektanträge zu stellen, sich selbst aktiv ins Spiel zu bringen, also nicht darauf zu warten, bis jemand auf einen zukommt, um somit auch die eigenen Anliegen so umzusetzen, wie man es möchte.
In puncto Geldverdienen, wenn man nicht ausschließlich durch die Kunst leben kann – was ja wohl bei circa 95 Prozent der Künstler*innen der Fall ist: Ich glaube, dass man abwägen muss, welcher Typ man ist, ob man die Verantwortung wie in der Lehre möchte oder den freien Kopf, wie bei Jobs mit weniger Verantwortung. Oder ob man von vornherein zweigleisig denkt und gezielt auf zusätzliche Berufe hinarbeitet, die nicht im Ungelerntensektor, also superschlecht bezahlt liegen.
Grundsätzlich glaube ich, dass es als junge*r Künstler*in gut ist, erst mal eine Weile die eigene Kunst voranzutreiben, bevor man in die Lehre geht, das heißt sich freistrampeln von Hochschuldiskussionen, alles, was gelehrt wurde, infrage stellen, eigene Erfahrungen machen und so weiter, bevor man in den Hochschulkontext zurückkehrt.
Hattest du zuweilen den Eindruck, dass es gerade wegen deiner Themen nicht weitergegangen ist?
Ja, meine Themen wie Identitätsfragen, Sexualität, Lesbischsein, Queerness, Nichtnormatives, Infragestellung von Rollenzuweisungen und Schönheitsbegriffen – immer aber innerhalb der Sprache der Malerei und bildenden Kunst – haben auf jeden Fall eine Rolle bei der Stipendienvergabe oder auch Nichtstipendienvergabe gespielt. Das hat mir vor über zwanzig Jahren endlich mal ein Jurymitglied gesteckt, das ich zufällig bei einer Ausstellung kennenlernte. Meine Arbeit sei von der gesamten Jury als „Privatkram“ abgetan worden. Er hätte als Einziger vergeblich versucht, das Politische in Kombination mit bestimmten künstlerischen Fragestellungen und Entscheidungen verständlich zu machen. Diese Aussage hat mich enorm erleichtert. Mittlerweile sind die Themen, über die ich seit knapp dreißig Jahren arbeite, fast schon Mode. Aber auch das ist für mich kein Grund, sie zu verlassen.
Die Hochschulen ticken da langsamer. Ich bin mir sehr sicher, dass es mit meinen Themen zu tun hatte, dass ich lange Jahre keine reguläre Professur bekommen habe. Das würde zwar niemand öffentlich zugeben, aber meine Arbeiten sind kein Einigungsfaktor. Sie rufen unterschiedliche, um nicht zu sagen kontrastierende Reaktionen hervor. Mittlerweile hat sich die Lage an den Hochschulen relativiert. Und ich freue mich sehr, dass die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mich im April 2022 als Professorin für Malerei und Grafik berufen hat.