Recherche und kunsthistorische Verbindungen

Fernanda Figueiredo befragt in ihren Arbeiten transkulturelle Operationen und die derzeitigen Auswirkungen der politischen Situation in Brasilien. Zum Stellenwert von Recherche und der thematischen Prägung ihrer Bildfindungen.

Du beschäftigst dich in deinen Arbeiten mit dem Transfer und der Zirkulation von konkret-konstruktivistischen Ideen und Kunstwerken in Brasilien und Europa. So thematisiert die Serie „The visit of Max Bill“ (Der Besuch von Max Bill) die Rolle des Schweizer Künstlers Max Bill bei der Entwicklung der Konkreten Kunst in Brasilien. Bis heute nehmen Bills Werke in der brasilianischen Kunstgeschichtsschreibung eine prominente Stellung ein. Was hat dich daran fasziniert?

 

Der Konkretismus in Brasilien war Teil der Wiederaufnahme des kulturellen Austauschs mit Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, was eine Welle des Optimismus und der Erneuerung auslöste, die Verheißung sozialer, kultureller und politischer Verbesserungen. Dies spiegelte sich auch im künstlerischen Bereich wider. Der Ausstellung von Max Bill im gerade eröffneten Museu de Arte in São Paulo 1951 wird gemeinhin ein großer Einfluss auf die lokale Szene zugeschrieben. Ich wollte verstehen, wie dieser Prozess ablief, um dann über Max Bills Hinterlassenschaft für die zeitgenössische kulturelle Identität Brasiliens zu sprechen. In Zeiten, in denen der Autoritarismus in Brasilien unter dem rechtsextremen politischen Phänomen des Bolsonarismus zunimmt, wird die Serie wieder relevant.

 

 

Eine kulturfeindliche Regierung, die Diktatur und Folter verteidigt, verneint nicht nur die Zukunft als solche, sondern auch die beste Idee von Zukunft, die die brasilianische Vergangenheit je hatte.

Dieser Gedanke hat mich zu meinen anderen Serien geführt: „Land oft he future“ (Land der Zukunft) und „Barbaric protopiia-Game over" (Barbarisches Protopia).

 

 

© Eudardo Mattos   Fernanda Fugureiredo, Barbaric protopia – Sunrise, 2022, Acryl auf Leindwand, 160 x 130 cm

Diesen Werkzyklen entstanden vorwiegend während des Lockdowns. In den Serien sind vor allem die Arbeiten von Roberto Burle Marx ein Ausgangpunkt. Burle Marx war ein brasilianischer Landschaftsarchitekt, der die Formensprache der abstrakten Malerei auf die Landschaftsarchitektur übertragen und die Landstreifen entlang der Copacabana maßgeblich geprägt hat.

 

Mich interessiert, wie sich die Rolle von Architektur und Landschaftsgestaltung verändert. Burle Marx ging es vor allem um die menschliche Erfahrung von Raum.

© Eudardo Mattos   Fernanda Fugureiredo, Land of the future – Glass house, 2021, Acryl auf Leindwand, 120 x 160 cm

Menschen aktivieren die Architektur und die Landschaftsgestaltung, indem sie deren Eigenschaften je nach gesellschaftlichen Rahmenbedingungen modifizieren.

 

So waren im Vergleich zu heute die Ideen der Landschaftsgestaltung des 20. Jahrhunderts und ihre Beziehung zur Natur sehr fortschrittlich. Die aktuelle Umweltkrise ist ein ernsthaftes Thema, das ich angehen möchte, ebenso wie die Frage nach unserer Zukunft, die ich in meinen anderen Serien thematisiere. Burle Marx’ Landschaftsgestaltung beeinflusste auch seine Rolle als Umweltschützer.

Burle Marx sprach sich als einer der ersten Brasilianer*innen gegen die Abholzung der Wälder aus. Daher ist sein Werk nicht nur von historischem Wert, sondern auch für die heutige Zeit von Bedeutung.

Deinen Gemälden gehen meist lange Recherchen voraus. Vermutlich wird nicht immer alles in sie einfließen. Wie maßgeblich sind diese Recherchen für die Produktion deiner Bilder?

 

Recherche ist für mich unerlässlich und wesentlicher Teil meines kreativen Prozesses. Es gibt kein Gemälde ohne wochenlanges Sammeln von Bildern und Lesen von Texten über das Thema, das ich behandeln möchte.

Fernanda Figueiredo, Studioview © Eudardo Mattos   Fernanda Fugureiredo, Studioview

Aktuelle Politik, Gespräche, Zeitungsartikel oder ein Beitrag in den sozialen Medien können der Auslöser für ein neues Bild oder eine Serie sein.

Ich gehe täglich durch diese Schichten, so wie es jeder Künstler und Nichtkünstler tut.

Dabei erregen einige Dinge meine Aufmerksamkeit. Ausgehend von dieser Idee oder diesem Gefühl, beginne ich dann zu recherchieren und frage mich, was ich erreichen möchte. Zu diesem Zeitpunkt ist alles noch sehr intuitiv und verschwommen.Später, wenn ich bereits mehrere Anhaltspunkte habe und die möglichen Verbindungen hergestellt sind, fallen mir die Skizzen leichter. Meine fertigen Bilder spiegeln stets die ersten Entwürfe. Die Recherche hat für mich also einen großen Stellenwert.

Zurück

Mehr zum
Thema